Wie sich die Nachrichtenlandschaft verändert hat
In den 1960erJahren gab es in der Schweiz nur wenige, klar definierte Informationsfenster: Mittagsnachrichten, Abendnachrichten, Spätnachrichten und das Echo der Zeit. Mit dem Fernsehen kamen visuelle Nachrichten hinzu, später Privat-Radio und Privat-TV.
Heute sendet z. B. SRF halbstündlich Nachrichten, dazu kommen Push-Meldungen, Social Media-Feeds und permanente Online-Updates. Wir sind ständig erreichbar — und ständig erreichbar für Negatives.
Das wirft grundlegende Fragen auf:
- Binden Nachrichten unsere Aufmerksamkeit an das Schlechte?
- Verzerren sie unser Bild der Welt?
- Verändern sie unsere Wahrnehmung unseres direkten Lebensraums?
- Stumpfen wir ab?
- Rechtfertigt reine Aufmerksamkeitslogik wirklich halbstündliche News-Updates?
Fragwürdige Relevanz: Wenn Bagatellen zu Schlagzeilen werden
Viele Meldungen, die national ausgespielt werden, haben kaum gesellschaftliche Bedeutung:
- „Velofahrer kollidiert mit Auto – leichte Verletzungen“ (SRF News)
- „Kuh bricht aus und läuft über die Autobahn“ (Blick / 20 Minuten)
- „Feuerwehr löscht Brand in Einfamilienhaus“ (SRF)
- „Mann stürzt beim Wandern zehn Meter in die Tiefe“ (Spiegel Panorama)
- „Kleintransporter kippt um – Fahrer leicht verletzt“ (Tagesschau.de)
- „Auto kracht in Gartenzaun – niemand verletzt“ (ORF.at)
- „Kleinbrand in Mehrparteienhaus rasch gelöscht“ (ORF)
Solche Meldungen erzeugen permanente Alarmbereitschaft, obwohl sie kaum Relevanz besitzen.
Bedrohungsnarrative: Wenn Spekulation wie Gewissheit klingt
Ein Beispiel ist die Berichterstattung über geopolitische Risiken. Aussagen wie jene von NATO-Generalsekretär Rutte:
(Quelle ww.zdfheute.de/politik/ausland/rutte-nato-russland-ziel-europa-100.html.)
- „Wir sind Russlands nächstes Ziel. Der Konflikt steht vor unserer Tür.“
- „Russland könne innerhalb von fünf Jahren bereit sein, militärische Gewalt gegen die NATO anzuwenden.“
- „Europa müsse sich auf ein Szenario vorbereiten, das unsere Grosseltern erlebt haben.“
Diese Formulierungen sind dramatisch, spekulativ und emotional aufgeladen. Sie verstärken Kriegsangst, obwohl sie keine Beweise liefern — nur Möglichkeiten.
Ähnlich wirkt:
- „Europa ist für die USA unbedeutend, warnt der frühere US-General Ben Hodges“ (Euronews)
Solche Aussagen erzeugen Unsicherheit, selbst wenn sie nicht auf konkreten Entwicklungen beruhen.
Wenn Trends unklar bleiben: Kurzfristige Schwankung oder langfristige Gefahr?
- „Kriminalstatistik zeigt Anstieg der Gewaltkriminalität in der Schweiz um 8 Prozent“ (20 Minuten)
- „Neuer Höchststand häuslicher Gewalt in Deutschland“ (taz.de)
- „Hunderte demonstrieren in Bern gegen Gewalt an Frauen“ (SRF News)
Diese Titel lassen offen, ob es sich um Ausreisser, Trends oder statistische Effekte handelt — die emotionale Wirkung bleibt dennoch stark.
Armut und soziale Spaltung: Negative Rahmung dominiert
- „Arm und reich – so extrem sind Einkommen und Vermögen verteilt“ (E+Z)
- „Armuts- und Reichtumsbericht 2025: Soziale Spaltung, Fakten und Reformpläne“ (Bürgergeld.org)
- „Bildungsausgaben steigen auf 198 Milliarden Euro“ (t-online)
Auch hier: Die Auswahl der Themen betont Konflikt, Ungleichheit und Bedrohung.
Bildung: Ein System am Limit?
„Schweiz fällt ab: Ausländische Kinder kommen in der Schule wegen Sprache nicht nach“ (watson)
- „Neue Umfrage zeigt den Machtmissbrauch und Stress an Schweizer Unis“ (watson)
- „Rund ein Drittel der Schweizer Studierenden hat Depressionssymptome“ (watson)
- „Kinderhilfswerk: Deutschland verletzt Kinderrechte – auch im Bildungssystem“ (News4Teachers)
- „IQB-Schockbericht: Deutschlands Schüler stürzen ab – und niemand greift ein“ (news.de)
- „Schulen kämpfen mit wachsender Belastung“ (Süddeutsche Zeitung)
- „Lehrermangel erreicht neuen Höchststand“ (Tagesspiegel)
Die Botschaft: Bildungssysteme stehen kurz vor dem Kollaps — unabhängig davon, ob das empirisch stimmt.
Digitalisierung: Fortschritt oder Gefahr?
„Zentrales IT-System des Bundes versagt bei Krisenübung“ (watson)
- „Digitalisierung und Künstliche Intelligenz – droht die menschenleere Fabrik?“ (bpb)
Auch hier dominiert die Problem- und Bedrohungsperspektive.
Klima: Dramatik als Standardmodus
„Deutscher Wetterdienst: Hitze in Deutschland wird weiter zunehmen“ (ZDF heute)
- „Rhöner Quellen unter Druck: Klimawandel bedroht seltene Arten“ (BR24)
- „Deutschland vor horrenden Milliarden-Strafen – wegen seiner Vorreiterrolle“ (WELT)
- „Extremereignisse und ihre oft katastrophalen Folgen sind immer öfter Zahltage für Versäumnisse beim Klimaschutz“ (ZDF heute)
Klimaberichterstattung ist wichtig — aber oft alarmistisch formuliert, was Angst verstärkt.
Was macht das alles mit uns?
- Wir überschätzen Risiken.
- Wir unterschätzen positive Entwicklungen.
- Wir erleben die Welt als gefährlicher als sie ist.
- Wir stumpfen ab oder schalten ab.
- Wir verlieren Vertrauen in Institutionen.
- Wir fühlen uns ohnmächtig.
Was können wir tun? “Mentalhygiene” statt Dauerstress
Wir können die Medienlandschaft nicht ändern — aber unseren Umgang damit.
- Nachrichten bewusst dosieren
- Quellenvielfalt erhöhen
- Push-Meldungen reduzieren
- Pausen einbauen
- Lokale Realität stärker wahrnehmen
- Positive Entwicklungen aktiv suchen





